Resümee

Die Veranstalter RKW-Arbeitskreis „Gesundheit im Betrieb“, die „Hans-Böckler-Stiftung“, die „Fachhochschule Frankfurt“ und das „Hessische Sozialministerium“ sehen in der Fachtagung einen wichtigen Beitrag zur Initiative „Neue Qualität der Arbeit“. Im Rahmen dieser Initiative arbeiten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Stiftungen, Unfall- und Kranken­versicherungsträger, Bund und Länder zusammen. „Bessere Arbeitsplätze mit leistungs­fähigen und motivierten Beschäftigten steigern die Qualität, bringen bessere Ergebnisse und das wiederum nützt dem Aufbau statt dem Abbau von Arbeitsplätzen“ so begründet Minister Wolfgang Clement die Ziele der Initiative.

Die Frage nach der Zukunft der Arbeit muss nach unserer Überzeugung auch die Frage nach der Qualität der Arbeit einschließen. Globalisierung, neue Produktions- und Dienstleistungsprozesse verändern die Arbeits- und Lebenswelt in einem ungeheurem Tempo.

  • Zwei bedeutsame Megatrends in den meisten europäischen Gesellschaften sind der demografische Wandel im Betrieb - (das durchschnittliche Alter der Belegschaften steigt an) - und der wachsende Anteil weiblicher Arbeitnehmer an der aktiven Erwerbsbevölkerung. Es ist in Wirtschaft und Politik unbestritten, dass das Potenzial und die Fachkompetenz von Frauen zukünftig stärker eingebunden und gefördert werden sollte, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern.
  • Während die Arbeitsforschung, wie auch Politik und Praxis den demografischen Wandel als Thema aufgegriffen haben, ist die geschlechterdifferenzierende Analyse der Arbeitsteilung, der Verknüpfung von Arbeits- und Lebenswelt oder der Arbeitsbedingungen ein weitgehend unbestelltes Feld. Ein geschlechterdifferenzierender Ansatz der Arbeitsgestaltung dient nicht nur der Umsetzung der Chancengleichheit von Frauen in Bezug auf Karriere oder Einkommen, sondern er trägt auch dazu bei, die Qualität der Arbeit, für Männer, aber insbesondere für Frauen zu erhöhen.

Wir haben uns in der Fachtagung auf die Fragestellung konzentriert, welche geschlechtsspezifischen gesundheitlichen Risiken in der Arbeits- und Lebenswelt feststellbar sind und welche Präventions- und Gestaltungskonzepte diesen Risiken Rechnung tragen können.

Die Vorträge und Diskussion in den Arbeitsgruppen weisen darauf hin:

1. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz hat einen männlichen Blick!

Es ist deutlich geworden, dass arbeitsbedingte Risiken von Frauen sowohl in der Forschung und Prävention unterschätzt werden; Gender-Mainstreaming wurde bislang – insbesondere im deutschen Arbeits- und Gesundheitsschutz – vernachlässigt, es gibt keine gemeinsame Plattform des institutionalisierten Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Bereich Gender-Mainstreaming.

Arbeitsbedingten Risiken von Frauen - insbesondere in frauendominierten Bereichen oder in Branchen mit einer hohen Teilzeitquote – wird häufig vom institutionalisierten und vom betrieblichen Arbeitsschutz mit weniger Aufmerksamkeit und geringen finanziellen Mitteln begegnet. Der städtische Bauhofmitarbeiter erhält ergonomische Hebehilfen aus dem Arbeitsschutzetat, die Erzieherin im Kindergarten kämpft oft vergeblich um einen ergonomischen Stuhl. (Dieser muss aus dem Budget der Einrichtung für Spielzeug etc. bezahlt werden.) Arbeitsbelastungen bei „typischen“ Teilzeitbeschäftigten, wie z. B. Reinigungs- oder Verkaufstätigkeiten werden unterschätzt und als Risiko unterbewertet. Weil „Frau“ ja nur „stundenweise“ arbeitet, werden Belastungen oft von Experten als „unkritisch“ bewertet. Frauen stellen zudem selbst nur geringe Anforderungen an eine gute Qualität der Arbeit und fordern Verbesserungen selten ein.

Frauen sind im Bereich Sicherheit und Gesundheit in vielen Gremien unterrepräsentiert, ihr Anteil in betrieblichen Arbeitsschutzausschüssen oder Berufsgenossenschaften ist insgesamt gering.

Die Gestaltung von Arbeit und der Arbeitsorganisation orientiert sich häufig am Durchschnittsmann. Persönliche Schutzausrüstungen oder ergonomische Hilfsmittel werden sehr oft für männliche Anforderungen konzipiert.

2. Ein modernes, betriebliches Gesundheitsmanagement, das auch die jeweiligen individuellen Unterschiede in den Arbeits- und Lebensbedingungen differenziert und berücksichtigt, finden wir nur vereinzelt.

Das Problem der Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Familie beschränkt sich oft auf familienfreundliche Arbeitszeitgestaltung oder Kinderbetreuung. Gefragt sind systematische und differentielle Gestaltungsansätze, die zu einer besseren Arbeits- und Lebensqualität beitragen. Überlange Arbeitszeiten und lange Anfahrtswege reduzieren bei Männern die Erholungszeiten und sind ebenso ein Aspekt eines gesundheitsorientierten Gender-Mainstreaming Ansatzes wie familienfreundliche Arbeitszeiten.

3. Aufgrund der starken Geschlechtertrennung auf dem Arbeitsmarkt sind Männer und Frauen unterschiedlichen Arbeitsumgebungen und Belastungen ausgesetzt.

Selbst in gleichen Sektoren oder bei gleichen qualifikatorischen Bedingungen sind häufiger Männer als Frauen in gehobenen Positionen beschäftigt. Es sind auch mehr Frauen als Männer in niedrig entlohnten und ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Dies hat Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Belastungen.

Wir finden im gewerblichen Produktionsbereich insbesondere bei älteren Arbeitnehmern mehr Frauen als Männer, die repetetive oder monotone Tätigkeiten ausüben. Diese Tätigkeitsbereiche bieten nur wenig Chancen für die Aufrechterhaltung der Lernfähigkeit und Motivation; wichtige Voraussetzungen, die eine Erwerbstätigkeit bis zum regulären Renteneintritt erlauben.

Wir haben in den Arbeitsgruppen der Tagung viele Fragen aufgeworfen, die nur in Zusammenarbeit – durch die Entwicklung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, kooperative Anstrengungen der Sozialpartner, Impulse der Wissenschaft und Anregungen der betrieblichen Praxis – beantwortet werden können.

Wir haben - unter der Fragestellung „Gesundes Arbeiten von Mann und Frau“ - einige Aufgabenstellungen konkretisiert und wollen sie - es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit - kurz darstellen.

Vorhang zu und alle Fragen offen? Was kann man tun?

- Sensibilisierung und Information von Personal- und Mitarbeitervertretungen, dem betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Botschaften und Aufgaben:

  • Gender-Mainstreaming ist kein „Sozialklimbim“, sondern Voraussetzung für gesundes Arbeiten von Männern und Frauen
  • Perspektivenwechsel bei der Bewertung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastung: (Weg vom „männlichen“ Blick auf Arbeitsbedingungen)
  • Entwicklung neuer Kriterien für die Qualität der Arbeit (ist schweres Heben belastender als langes Arbeiten mit Lupe?)
  • - Modernisierung der Ziele des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, z. B. Integration von Work-Life-Balance, Artikulation von Stressbelastungen z. B. in Dienstleistungsberufen
  • Stärkere Beachtung der weiblichen Dienstleistungstätigkeiten, von Teilzeitarbeit und Minijobs

Ziel: Entwicklung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, mit dem Ziel der differenziellen alterns- und geschlechtergerechten Arbeitsgestaltung

In der praxisorientierten Arbeitsforschung, die den institutionalisierten Arbeitsschutz und die betriebliche Praxis einschließt:

Aufgaben:

  • Geschlechtssensible Datenerfassung, z. B. Gefährdungsbeurteilungen, Entwicklung von „Landkarten“ der Tätigkeiten und Belastungen (geschlechtsspezifisch)
  • Reflexion der vorliegenden Forschungsansätze und Ergebnisse hinsichtlich ihrer Geschlechtssensibilität
  • Entwicklung zusätzlicher geschlechtersensibler Belastungs- und Beanspruchungs- kennziffern (z. B. Menstruations-, Fruchtbarkeitsstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen, Hauterkrankungen, Stimmstörungen, Infektionskrankheiten, unsoziale Arbeitszeiten, Gewalt durch Kunden, Belästigung)
  • Analyse weiblicher Erwerbsbiographien hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Belastungen und Beanspruchungen z. B. Auswirkungen von Doppelbelastung, Dequalifikationsprozesse bei Rückkehr in den Beruf nach der Kindererziehung
  • Entwicklung und Umsetzung ganzheitlich orientierter betrieblicher Arbeitsgestaltungs- und Präventionskonzepte, die in besonderer Weise die Arbeits- und Lebenswirklichkeit von Frauen berücksichtigen

Ziel: Entwicklung einer geschlechterdifferenzierenden arbeitsweltbezogenen Gesundheitsberichtserstattung

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