Erwerbstätigkeit und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern im Wandel

Autorin: Brigitte Stolz-Willig

Eine kurze Bilanz der Arbeitsmarktsituation

Wirtschafts- und Politikvertreter verweisen gerne auf die großen Fortschritte der Arbeitsmarktintegration von Frauen. Tatsächlich sind heute 45 % der Erwerbstätigen Frauen und insbesondere die Erwerbstätigkeit westdeutscher Mütter hat in einem beachtlichen Umfang zugenommen.

Berücksichtigt man aber, dass seit Mitte der 80er Jahre mehr junge Frauen als Männer mit hohen schulischen Abschlüssen, d.h. mit Abitur oder mittlerer Reife und mit durchschnittlich besseren schulischen Beurteilungen in das Berufsleben starten, so ist es zwingend notwendig, die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und Umfang und Qualität der Beschäftigung näher zu betrachten:

Nach wie vor arbeiten Frauen und Männer in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen und Berufen, auf unterschiedlichen Stufen der Hierarchie, verbunden mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, Belastungsrisiken und Einkommen. Noch immer liegt das durchschnittliche Einkommen der erwerbstätigen Frauen erheblich unter dem Einkommen der Männer. Qualifikationsanstrengungen, Übernahme von Verantwortung etc. zahlen sich für Frauen relativ weniger aus als für Männer. Unglaublich aber wahr: Je höher das Ausbildungsniveau ist, umso größer ist der geschlechtsspezifische Einkommensabstand. Und je älter die Frauen sind, umso größer ist der Abstand zum durchschnittlichen Einkommen gleichaltriger Männer. D.h. im erwerbsbiographischen Verlauf kumulieren die Einkommensnachteile der Frauen (ausführlich: Bericht der Bundesregierung zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern, 2001)

Kinder und Ehe sind nach wie vor ein Karrierehindernis – allerdings nur für Frauen. So haben lediglich zehn Prozent der abhängig beschäftigten verheirateten Mütter eine Führungsposition im Beruf, aber 25 % der verheirateten Väter. Ohne Kinder und Lebenspartner sind Frauen im Beruf besser dran, bei den Männern ist es genau umgekehrt.

Die Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeiten ist von zentraler Bedeutung für den Verschleiß des Arbeitsvermögens und für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Leistungsanforderungen. Dies gilt nicht nur, aber im Besonderen im Zusammenhang mit psychischen Anforderungen und Belastungen. Betrachten wir zunächst den Umfang der tatsächlichen Arbeitszeiten von Männern und Frauen. Die Arbeitszeit- und Gesundheitsforschung belegt eine zunehmende Polarisierung der Arbeitszeiten entlang der Achsen Geschlecht und Qualifikation.

Grafik Vergleich Anteil Arbeitszeitgruppen 2002
Graphik 1: Vergleich Anteil Arbeitszeitgruppen 2002 (geschlechtsspezifisch in %)  Foto: SOEP

Zwar breiten sich auch unter den Männern Zonen der Unterbeschäftigung und der Teilzeitarbeit aus, zugleich ist aber der Anteil der Männer mit überlangen Arbeitszeiten deutlich gestiegen.

Grafik Anteile Männer an Arbeitszeitgruppen in %
Graphik 2: Anteile Männer an Arbeitszeitgruppen in %  Foto: SOEP

Der Anteil der Beschäftigten in regulärer Vollzeitarbeit sinkt, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Waren Anfang der 90er Jahre noch gut 60 % aller erwerbstätigen Frauen Vollzeitbeschäftigte, so arbeitet heute nicht einmal mehr jede Zweite im Vollzeitbereich. Hintergrund für diese Entwicklung unter den Frauen ist die Ausweitung von Teilzeitarbeit, insbesondere im Bereich der geringfügigen Arbeit.

Grafik Anteile Frauen an den Arbeitszeitgruppen in %
Graphik 3: Anteile Frauen an den Arbeitszeitgruppen in %  Foto: SOEP

D.h. die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen wurde im Wesentlichen durch eine Umverteilung der Arbeitszeiten unter den Frauen realisiert. Vielfach werden Frauen gegen ihren Willen auf Teilzeitarbeit verwiesen, während Männer zu einer enormen Ausweitung ihres Arbeitsvolumens gezwungen werden, oft unter Androhung des Verlustes ihres Arbeitsplatzes. Die oberflächliche Angleichung der Erwerbsbeteiligung der Geschlechter verschleiert die dramatische Scherenbewegung der tatsächlichen Beanspruchung der Beschäftigten im Berufsleben. Das Auseinanderdriften von Beschäftigungsformen mit permanenter Höchstbeanspruchung auf der einen Seite und der sporadischen und nicht Existenz sichernden Inanspruchnahme auf der anderen Seite (paradigmatisch: die abrufbereite Teilzeitbeschäftigung) sagt mehr über die modernen Trends am Arbeitsmarkt aus, als die traditionelle Sicht auf Erwerbs- und Beschäftigungsquoten. Von einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsmarkt kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein.

Im Hinblick auf die Verbreitung von arbeitsbedingten Belastungen ist auch die Entwicklung von unsozialen Zeiten bzw. gesundheitsgefährdenden Arbeitszeitlagen zu betrachten. Am Beispiel der Nacht- und Wochenendarbeit in Westdeutschland lässt sich zeigen, dass – nach einem Rückgang dieser Arbeitszeitformen bis Ende der 80er Jahre – diese im Verlauf der 90er Jahre wieder stärker an Bedeutung gewonnen haben und heute teilweise wieder stärker verbreitet sind als noch vor 15 Jahren. Von dieser Entwicklung sind Männer wie Frauen gleichermaßen betroffen wenn auch Frauen etwas seltener nachts und am Wochenende arbeiten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass zu der Verbreitung der Arbeitszeiten zwischen 19 und 23 Uhr keine repräsentativen Daten vorliegen. Diese Arbeitszeitlagen dürften aber erhebliche Probleme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verursachen.

Grafik Entwicklung der Arbeitszeitlage (Beschäftigte in %)
Graphik 4: Entwicklung der Arbeitszeitlage (Beschäftigte in %)  Foto: Brigitte Stolz-Willig

Zusammenfassend lassen sich im Hinblick auf die Entwicklung der Arbeitszeiten für Männer und Frauen unterschiedliche Szenarien beschreiben: Männer sind nach wie vor überwiegend Vollzeit beschäftigt und weiten ihre Arbeitszeiten – zumeist unfreiwillig- immer stärker aus. Neben der betrieblich bedingten Flexibilisierung durch Überstunden hat auch die Verbreitung von unsozialen Arbeitszeiten am Wochenende und in der Nacht wieder deutlich zugenommen. Dieser arbeitszeit- und vor allem gesundheitspolitische Rollback trifft auch für die erwerbstätigen Frauen zu. Jedoch kommen diese vielfach gar nicht in den Genuss eines Vollzeitarbeitsplatzes. Frauen arbeiten – ebenfalls überwiegend unfreiwillig- in kurzer Teilzeit und Mini-Jobs, die ebenso durch Überstunden, Abrufbereitschaft etc. flexibel an betriebliche Bedarfe angepasst werden.

Hintergrund der gespaltenen Arbeitszeitrealitäten von Männern und Frauen sind betriebliche Strategien, die darauf ausgelegt sind, den Personaleinsatz so weit wie möglich zu flexibilisieren.

In den neuen Steuerungsformen von Arbeit wird der einzelne Arbeitnehmer unmittelbar mit Markt- und Kundenanforderungen konfrontiert. Selbstorganisation, Ergebnisorientierung und flexible Arbeitszeiten bauen die bisherigen institutionellen Puffer zwischen Individuum und Markt ab.

Entscheidend wird der individuelle Umgang mit der Dynamik von Markt- und Kundenanforderungen. Mit der in der Arbeitsforschung mittlerweile etablierten These von der „Subjektivierung“ der Arbeit wird ein ambivalenter Neuzuschnitt der Arbeitsanforderungen beschrieben: einerseits werden subjektive Potentiale und Ressourcen in erweiterter Weise vom Betrieb vereinnahmt, andererseits sind damit auch Chancen größerer Verantwortung und Autonomie in der Arbeit verbunden. Der Umgang mit den Risiken und die Wahrnehmung von Chancen hängen von den jeweils vorhandenen Ressourcen ab und zu Recht wird angenommen, dass die Ausweitung von betrieblichen Arbeitszeiten, Mobilitätsanforderungen und eine enorme Verdichtung der Arbeit einem männlichen Lebensentwurf eher kompatibel sind.

Der Gruppe der Beschäftigten in selbst organisierten Arbeitsformen mit wachsender Verantwortung und stehen Beschäftigte gegenüber, die weiterhin oder auch in zunehmendem Maße in restriktive Arbeitsvollzüge eingebunden sind. Ehemals komplexe Arbeitsbereiche werden immer stärker in Teilarbeitsbereiche gespalten und diese einzeln an Teilzeitbeschäftigte, Minijobber und Aushilfen vergeben. Mit der Segmentation der Tätigkeiten verändert sich aber auch der qualitative Charakter der Arbeit: Monotonie, Anforderungsarmut und geringer Einfluss auf die Arbeitsgestaltung kennzeichnen das Gros der Teilarbeitsplätze. Dass diese vorwiegend an Frauen adressierten Tätigkeiten und Beschäftigungsformen familienkompatibel sind, ist dabei eine sich hartnäckig haltende Mär.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass das beschleunigte Wachstum von Teilzeitarbeit wie auch von anderen Formen „flexibler Unterbeschäftigung“ (wie befristete Arbeit, Mini-Jobs. Ich-AGs) mit erheblichen Risiken sowohl für die Qualität der Arbeit wie die Gesundheit der betroffenen Arbeitskräfte verbunden ist (Pröll 2004).

Die Entwicklung der Arbeitsanforderungen und Belastungen lässt die Polarisierung zwischen anforderungsarmen, monotonen Arbeiten einerseits und hoch komplexen und verdichteten Arbeitsvollzügen andererseits deutlich erkennen: Lange und überlange Arbeitszeiten, in denen überproportional Männer beschäftigt sind, korrespondieren häufig mit Zeit- und Leistungsdruck bei gleichzeitig komplexen Anforderungen. Nicht selten vollzieht sich dies in sensiblen Arbeitsbereichen mit geringer Fehlertoleranz.

Demgegenüber konzentrieren sich in den Beschäftigungsverhältnissen mit geringem Stundenvolumen, in denen überproportional Frauen beschäftigt sind, restriktive und monotone Tätigkeiten, die auch nur geringfügig an Bedeutung verlieren.

Der Annahme einer ausschließlich positiven Korrelation zwischen Handlungsspielraum, Verantwortung und Aufgabenvielfalt und gesundheitsgerechter Arbeit muss nach den jüngeren Studien zu flexiblen Arbeitszeiten widersprochen werden (Moldaschl 2003; Pröll/Gude 2003; Janssen/Nachreiner 2004). Ob eine – von arbeitswissenschaftlicher Seite stets begrüßte – Verantwortungszunahme und Aufgabenintegration einen Beitrag zu „guter Arbeit“ leisten kann, kann demnach erst dann beurteilt werden, wenn den Beschäftigten genügend Zeit zur Ausführung und Einarbeitung zur Verfügung steht, die Aufgaben in ihrer Zeitstruktur nicht konfligieren und der kompetenzerweiternde Einsatz für die zu leistenden Arbeitsaufgaben nicht mit den Sozialbeziehungen außerhalb der Arbeit in Widerspruch geraten.

In einer Befragung von Pröll/Gude zu flexiblen Arbeitsformen thematisierten die Teilnehmer als die größten Gesundheitsrisiken: strukturell behinderte Erholungsprozesse, Tendenzen sozialer Desintegration und Mechanismen der Selbstüberforderung Pröll/Gude 2003:165)

Nach wie vor ist die Arbeits- und Gesundheitsforschung in Deutschland auf leichter zugängliche, relativ privilegierte Beschäftigtengruppen, bzw. Arbeitsweltmilieus (Großbetriebe des produzierenden Sektors, Facharbeiter, Angestellte) fokussiert. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und marginale Arbeitsmarktgruppen sind vernachlässigt. Ebenso unterbelichtet sind Gesundheits- und Sicherheitsaspekte zu neunen Arbeitsformen und Produktionskonzepten.

Konzeptionell ist die Forschung zu flexibler Arbeit und Gesundheit stark auf den Arbeitsplatz und seine Organisationsumwelt bezogen, wohingegen der Zusammenhang der Arbeitssituation mit Arbeitsmarktbedingungen und sozialer Sicherung unterbelichtet bleibt und Aspekte des Berufsverlaufs, der demographischen Entwicklung und der Genderproblematik kaum systematisch integriert werden.

Unter Gender-Aspekten möchte ich insbesondere folgende Defizite unterstreichen:

  • In der Arbeitsforschung wird das Thema der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Leben der Tendenz nach als ein Problem zeitlicher Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen verstanden, deren Lösung oftmals in der Teilzeitarbeit gesehen wird. Eine solche Fokussierung wird der Vereinbarkeitsproblematik nicht gerecht. Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeiten haben eine zentrale Bedeutung für die Frage der Vereinbarkeit, aber auch Arbeitsverdichtung, Arbeitsbelastung und erhöhte Leistungsanforderungen lassen sich mit einem Leben jenseits der Arbeit schlecht vereinbaren, für das man neben Zeit auch emotionale Energien und soziale Ressourcen braucht. Die Vereinbarkeitsfrage ist weder ein Problem allein der Mütter noch ist sie auf eine spezifische Lebensphase zu begrenzen.
  • Mit den sich wandelnden Arbeitsbedingungen und Formen der Arbeitsorganisation verändern sich die Belastungen und Ressourcen, mit denen Beschäftigte konfrontiert sind. Diese Veränderungen sind von einer deutlichen Zunahme psychischer Belastungen bei allenfalls geringfügigem Rückgang körperlicher Belastungen, begleitet. In Zukunft wird gerade der Kombination verschiedener Belastungen und ihren geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Wirkungen größere Bedeutung zukommen. Dies gilt verstärkt, wenn nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch weitere Belastungen und Ressourcen einbezogen werden, die etwa durch unbezahlte Arbeit und andere Tätigkeiten entstehen.
  • Eine gesundheitliche Risikoabschätzung prekärer oder kontingenter Beschäftigung erfordert eine Verknüpfung von Beschäftigungsform, Arbeitsbedingungen und Lebenslage mit den subjektiven Bewertungen und Bewältigungsmöglichkeiten. Vor dem Hintergrund der gesundheitswissenschaftlichen Forschung zu Flexibilisierung und Unterbeschäftigung spielen Beschäftigungsstabilität und Gratifikationsgerechtigkeit, vor allem ein angemessenes Einkommen und soziale Anerkennung, eine herausragende Rolle. Nicht zuletzt haben tradierte Annahmen über die Zuverdienstrolle der Frauen bisher den Blick auf die notwendige Verbindung einer Arbeitsförderung mit einer Arbeitsqualitätspolitik verstellt.
  • Personennahe Dienstleistungen werden mit ihrer Festlegung auf die zwischenmenschlichen Beziehungen als einer weiblichen Arbeitswelt zugehörig betrachtet und geringer bewertet. In den personenbezogenen Dienstleistungen müssen jedoch komplexe Situationen bewältigt werden, da man es mit dem Ineinandergreifen von körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen Bedürfnissen von Personen zu tun hat. Diesen Anforderungen steht bisher kein verbindliches Bezugssystem gegenüber, an dem Belastungen, sowie Leistungen und ihre Ergebnisse gemessen werden könnten. Nur wenige empirische Untersuchungen betrachten Emotionsarbeit als Stressor. Diese Untersuchungen sehen eine Quelle von Stress darin, dass die zu zeigenden Emotionen nicht mit der aktuellen tatsächlichen Gefühlslage übereinstimmen müssen. In diesem Fall liegt eine emotionale Dissonanz vor, d.h. ein Widerspruch zwischen den beruflich, bzw. von der Organisation geforderten Gefühlsdarstellungen und den erlebten Gefühlen. Emotionale Distanz ist ein genuines Merkmal beruflicher Tätigkeiten, die in direktem Kontakt mit Menschen ausgeübt wird. Sie stellt eine spezifische psychische Belastung in personenbezogenen Diensten dar, die zu Fehlbelastungen führen kann.

Internationale Organisationen bemühen sich seit geraumer Zeit um eine Klärung der normativen Standards zur Qualität der Arbeit. Unter dem Leitbild „Decent Work“ (menschenwürdige Arbeit) versucht die ILO die universale Verbindlichkeit grundlegender Rechte bei der Arbeit sowie Sozialschutz, Sozialdialog und Beschäftigung zu befördern. Die EU hat normativ orientierte Leitlinien ihrer Beschäftigungspolitik definiert, einen Kriterienkatalog zur Beurteilung und Gestaltung der Qualität der Arbeit vorgeschlagen, sowie Programme zur Förderung sozialer Verantwortung von Unternehmen und zum Gender Mainstreaming auf den Weg gebracht. In Deutschland bemüht sich insbesondere die im Jahr 2001 ins Leben gerufene Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ (INQA) um eine koordinierte Förderung von Qualität, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit von Arbeit.

Vergleicht man die Leitbild- und Qualitätsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland mit derjenigen auf der internationalen Ebene, fällt auf, dass die Genderperspektive sowohl bei der ILO als auch bei der EU (Novellierung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2003) einen deutlich höheren Stellenwert hat.

Obwohl sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine gesundheitsgerechte und gendersensible Arbeitspolitik (mit der Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes 1996, des Betriebsverfassungsgesetzes 2001) deutlich verbessert haben, sind die Umsetzungserfolge bisher bescheiden. Chancengleichheit der Geschlechter und familienfreundliche Gestaltung des Arbeitslebens sind in den Betrieben randständige Themen geblieben. Nach dem IAB Betriebspanel 2002 haben über 80 vH der Betriebe (mit mindestens 20 Beschäftigten) weder tarifliche noch betriebliche noch auch freiwillige Vereinbarungen zur Chancengleichheit oder Familienfreundlichkeit getroffen.

Tabelle: Stand der freiwilligen betrieblichen Vereinbarungen
Tabelle: Stand der freiwilligen betrieblichen Vereinbarungen (2004)  Foto: Krell, Ortlieb 2004

Nachhaltige und gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung drohen in einer Orientierung auf den Standortwettbewerb auf der Strecke zu bleiben. Und es scheint, dass derzeit allein die Demographen noch vor den potentiellen Folgen einer allgegenwärtigen „Verbetrieblichung des Lebens“ warnen.

Auch in den Konzepten, Handlungsfeldern und –methoden des Arbeits- und Gesundheitsschutzes finden flexible, atypische und diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse noch kaum Berücksichtigung. Die fortschreitende Flexibilisierung und Deregulierung im Beschäftigungssystem lassen befürchten, dass Standards der Arbeitsqualität, wie sie bisher durch Mindestvorschriften des technischen, sozialen und medizinischen Arbeitschutzes markiert worden sind, in weiten Bereichen bedroht sind. Dringend erforderlich wird es für die öffentlichen Arbeitschutzinstitutionen, Standards „anständiger flexibler Arbeit“ zu entwickeln und beispielhaft anzuwenden. Dabei sind qualitative Differenzierungen der Erwerbssituation zwischen Erwerbslosigkeit, Unterbeschäftigung und Normalbeschäftigung und deren geschlechtsspezifisch unterschiedliche psycho-soziale Dimensionen zu berücksichtigen.

Mit den tiefgreifenden Umbrüchen im Arbeitsmarkt und den privaten Lebensverhältnissen stellt sich für eine Arbeits- und Gesundheitsforschung die Aufgabe, ein zeitgemäßes Leitbild „guter Arbeit“ im Zusammenhang von Arbeit, Gesundheit und Sozialer Sicherung zu entwickeln. D.h. die Aufgabe besteht darin, neue Ankerpunkte für Sicherheitserfahrungen in Bezug auf den Arbeitsmarkt und das Beschäftigungssystem zu installieren. Dabei muss es vor allem darum gehen, individuelle Flexibilität durch zeitgemäße Formen sozialer Sicherheit zu belohnen und zu unterstützen. Die Debatte um das Leitbild „Flexicurity“ kann dabei Anknüpfungspunkte liefern.

Bericht der Bundesregierung zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern, Bundestagsdrucksache 14/8952

Fuchs, T, Conrads, R., Analyse der Arbeitsbedingungen, -belastungen und Beschwerden von abhängig Beschäftigten unter besonderer Berücksichtigung von flexiblen Arbeitsformen, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin 2003

GendA - Netzwerk feministische Arbeitsforschung, Memorandum zur Zukunftsfähigen Arbeitsforschung, Marburg 2005

Janssen, D., Nachreiner, F., Flexible Arbeitszeiten, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin 2004

Kratzer, N., Sauer, D., Flexibilisierung und Subjektivierung der Arbeit, in: Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), Berichterstattung zur sozio-ökonomischen Entwicklung in Deutschland: Arbeit und Lebensweisen, Göttingen 2004

Moldaschl, M., Zehn Gebote für eine zukunftsfähige Arbeitsgestaltung, in: WSI Mitteilungen 10/2003, S. 571-577

Pröll, U., Arbeitsmarkt und Gesundheit, Gesundheitliche Implikationen der neuen Arbeitsmarktpolitik und Ansätze zur Prävention, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallmedizin, 2004

Pröll, U., Gude, D., Gesundheitliche Auswirkungen flexibler Arbeitsformen, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2003

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