Familienfreundlich ohne Sozialromantik

Autorin: Corinna Brod

Vorbemerkung

Wenn der einzige Stau am Tag der am Morgen vor der Badezimmertür ist, lässt sich der Arbeitstag entspannt angehen. Sollte man meinen. Oder ist es vielleicht doch auf eine andere Art stressig sich zu Hause an den PC zu setzen, um sich dann als „Kollege Home-Office“ im Büro zu melden? Ganz sicher aber ist Telearbeit geeignet, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Home office

Es erfordert schon einige Disziplin, konzentriert an der Arbeit zu bleiben“, urteilt Dr. Frank Nitsche, Technischer Leiter Chip-Design, der Jenaer Firma MAZeT GmbH. Der tägliche Stau auf der A 4, aber auch der Wunsch mehr Zeit für die Familie zu haben, veranlassten ihn einen Heimarbeitsplatz einzurichten. Nitsche, der seit 1992 bei MAZeT arbeitet, war einer der Ersten, der das Angebot seines Arbeitgebers nutzte. Inzwischen sind es rund 25 Mitarbeiter.

Die Technik wird vom Arbeitgeber gestellt. Sogar die Telefonkosten, die beim Einwählen auf den Server entstehen, werden durch eine Call-Back-Schaltung auf das Unternehmen umgeleitet. Am Anfang gehörte Nitsche zu den Testkandidaten, die diese Möglichkeit des flexiblen Arbeitens nutzten, heute arbeitet er mindestens einmal in der Woche in seinem Home-Office im rund 45 Kilometer entfernten Gera. „In einigen meiner Arbeitsbereiche zählen vor allem die Ergebnisse, da kann ich bequem von zu Hause aus arbeiten. Schwierig und stressig daran ist jedoch, dass es nicht immer einfach ist am Ball zu bleiben. Die Kinder lenken schnell ab und müssen deutlich angehalten werden, den Papa nicht bei der Arbeit zu stören“, erklärt Frank Nitsche. Vorteile hat das Home-Office für ihn besonders dann, wenn es darum geht, sich mit seiner Ehefrau, einer Ärztin, in Sachen Kinderbetreuung zu arrangieren.

Erziehungsurlaub als Anlass

Nur von zu Hause möchte der 45-Jährige allerdings nicht arbeiten, denn oft genug passiert es auch, dass die Arbeit in die Abendstunden oder auf das Wochenende verlegt wird. Den Anstoß zur Telearbeit gab einst ein junger Vater, der Erziehungsurlaub beantragte. Um den Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden, wurde für ihn der erste Telearbeitsplatz eingerichtet. Nach und nach kamen mehr Mitarbeiter hinzu. Sie sparen für sich lange Fahrtzeiten und gewinnen mehr Zeit für ihre Familien. Auch das Unternehmen profitiert in vielerlei Hinsicht: Die Belegschaft, die zu fast 90 Prozent aus hochqualifizierten Fachkräften besteht, bleibt konstant.

MAZeT Geschäftsführer Fred Grunert weiß als fünffacher Familienvater auf jeden Fall, warum ihm so viel daran gelegen ist, dass seine Mitarbeiter ihre privaten und beruflichen Bedürfnisse unter einen Hut bringen. Allerdings geht es dem Informationstechniker nicht um „Sozialromantik“, sondern auch um „nachweisbare Vorteile für die Firma“. Für sein Unternehmen MAZeT war die Einrichtung von Heimarbeitsplätzen die ideale Lösung, um die Zusammenlegung der Geschäftsbereiche Jena und Erfurt ohne den Verlust von qualifizierten Mitarbeitern zu ermöglichen. Telearbeit gehört jedoch schon länger zu den Maßnahmen, die dem Unternehmen den Preis „Familienfreundliches Unternehmen 2000“ einbrachten.

Frau arbeitet zuhause am Computer
Telearbeit ist bei der MAZeT GmbH eine Möglichkeit Familie und Beruf besser zu vereinbaren.  Foto: HMSI

Das Unternehmen

Die MAZeT GmbH ist ein Ingenieurdienstleistungsunternehmen, das 1992 als Spin-off-Unternehmen aus den Firmen Carl Zeiss Jena und Mikroelektronik Erfurt hervorging. Das Unternehmen entwickelt elektronische Baugruppen und Software. In einem stark entwicklungsorientierten Betrieb, so Grunert, sei es unerlässlich, dass die Mitarbeiter während der Arbeit den Kopf frei haben. Aus diesem Grund bietet MAZeT eine ganze Reihe von Lösungsmöglichkeiten an, die zumindest einen Großteil der Sorgen schmälern, die sich auftun, wenn es darum geht Beruf und Familie zu vereinbaren. Flexible Arbeitszeiten, Gleitzeit, Telearbeit, Zuschüsse zur Kinderbetreuung, Sonderzahlungen bei Eheschließung oder der Geburt eines Kindes gehören zu den Maßnahmen. Außerdem gibt es Veranstaltungen, die Familien einbeziehen, wie Radtouren oder die Jahresabschlussfeier.

Flexible Verträge

Inzwischen, so Grunert, habe sich gezeigt, dass das Konzept aufgehe. Nachweislich gestiegene Produktivität, gleichbleibend niedrige Krankheitsquote, mehr Mitarbeiterbindung und ein sehr positives Betriebsklima sind die Ergebnisse, die sich im vergangenen Jahr durch eine Umfrage des Prognos-Institutes im Betrieb bestätigt haben.

Auch Melanie Wilhelm nutzt Telearbeit. Die Diplom-Ingenieurin der Medizintechnik wollte während der Erziehungszeiten den Anschluss an die rasanten technischen Entwicklungen nicht verlieren. Für die Chip-Designerin war dies die optimale Chance im gesetzlich erlaubten Rahmen weiterzuarbeiten. Inzwischen arbeitet sie an drei Tagen im Unternehmen, wenn es das Projekt jedoch erfordert, sitzt sie zu Hause zusätzlich am Bildschirm. Komplett von zu Hause möchte sie nicht arbeiten, denn auch sie fühlt sich, wie Frank Nitsche, dann zu sehr auch Kindern und Haushalt verpflichtet. „Man kann einfach nicht so konzentriert arbeiten“, findet sie. Momentan hat die Mutter zweier Kinder einen Vertrag mit 20 Wochenstunden, allerdings wird auch der zugunsten von mehr Flexibilität geändert:

1000 Stunden im Jahr individuell und nach Bedarf projektbezogen verteilt wird sie dann arbeiten. Noch eine Möglichkeit, die MAZeT bietet, um die hochqualifizierten Fachkräfte in der Firma zu halten. Doch das ist nicht der einzige Vorteil für das Unternehmen: Auch die Maschinen werden besser ausgelastet, denn die Funktion neuer Schaltkreise wird in Simulationen getestet, die zumeist während der Nacht erfolgen. Bisher mussten die Mitarbeiter entweder bei den Maschinen ausharren oder am nächsten Morgen feststellen, dass möglicherweise ein Fehler passiert war. „Ich wollte nicht, dass meine Leute bis in die Puppen in der Firma sitzen“, meint Fred Grunert. Vom Home-Office aus können die Simulationen jetzt bequem überwacht und auftretende Störungen behoben werden.

Fahrradtour von Mitarbeitern der MAZet GmbH
Ausflüge mit den Mitarbeitern und ihren Familien, wie hier eine gemeinsame Fahrradtour im Juni 2003 im Zeitzgrund zur Ziegenmühle, sind wichtiger Bestandteil der Firmenphilosophie der MAZeT GmbH.   Foto: HMSI

Der Benefit

Bewährungsprobe mit positivem Ergebnis war schließlich die Zusammenlegung der beiden Standorte Jena und Erfurt vor gut einem Jahr: Von den insgesamt 70 Mitarbeitern arbeiten jetzt 25 regelmäßig im Home-Office, überwiegend Ingenieure, die in der Entwicklung tätig sind. Und nur einer hat wegen des Zusammenschlusses das Unternehmen verlassen.

Der Artikel wurde dem RKW magazin März 2004 entnommen.

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